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Unerhörte Stimmen

René Frauchiger
Ameisen fällt das Sprechen schwer  

 

Irgendwann auf Hallers Weg von der Arbeit nach Hause ist Haller Haller abhandengekommen. Er sitzt im Zug und wacht auf, ohne zu wissen, wer er ist. Er stellt fest, dass er im Schnellzug von Zürich nach Bern sitzt, beginnt in seinen Taschen zu kramen, sucht nach Hinweisen dessen, was alle andern mit Selbstverständlichkeit mit sich herumtragen. Auf Ausweisen findet er seinen Namen, sein Alter, irgendwann sogar eine Anschrift. Es ist Abend, der Zug voller Menschen, die sich ihren Feierabend herbeisehnen, die bloss ankommen wollen. Haller ist sich nicht sicher, ob er ankommen will und kann. Ob er jenes Leben, das er aus unerklärlichen Gründen im Zug nach Bern verlor, wiederfinden will und kann. Irgendwie findet er den Weg an den Ort, der sein Zuhause sein soll, den Namen einer Strasse und eine Hausnummer, die ihm nichts sagt. Er findet das Haus, das Stockwerk, die Wohnung, die Tür, die nicht nur mit seinem Namen, sondern auch mit dem Namen einer Frau beschriftet ist. Seine Freundin? Seine Frau? Sandra Zuberbühl.


René Frauchigers Roman „Ameisen fällt das Sprechen schwer“ kann man als Gedankenspiel katalogisieren. Kann man. Aber in einer Zeit, in der nicht nur Demenz zunehmend eine gesellschaftliche Herausforderung wird und über Fälle von Amnesie immer offener geschrieben und gesprochen wird, in der man sich immer häufiger die Frage stellt, ob man der oder die ist, die oder der man sein will, in der Diskussionen über Identitäten beweisen, wie brüchig einstige Klarheiten geworden sind, wundert es nicht, dass sich ein Roman wie der von René Frauchiger ganz direkt mit der Frage auseinandersetzen, wer die Person ist, die einem morgens aus dem Spiegel entgegenschaut. Wir haben uns mit uns selbst arrangiert. Die meisten Menschen stellen sich kaum je die Frage, wer oder was sie sind. Ob sie nicht auch anders hätten sein können. Ob das, was ihr Leben ausmacht auch wirklich so sein muss.

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Hunger

Julia Schoch
Das Liebespaar des Jahrhunderts

 

»Ich lese dieses Buch, als hätte ich es selbst geschrieben.« (Elke Heidenreich, Süddeutsche Zeitung)


Eine Frau will ihren Mann verlassen. Nach vielen Jahren Zusammenleben und Ehe ist sie entschlossen und bestürzt zugleich: Wie konnte es nur dazu kommen? Während sie ihr Fortgehen plant, begibt sie sich in ihren Gedanken weit zurück. Da waren die rauschhaften Jahre der Verliebtheit, an der Universität, zu zweit im Ausland und später mit den kleinen Kindern, aber da gab es auch die Kehrseite - Momente, die zu Wendepunkten wurden und das Scheitern schon vorausahnen liessen. Doch ist etwas überhaupt gescheitert, wenn es so lange dauert? Julia Schoch, literarische Archäologin ihres Lebens, legt frei, was im Alltag eines Paares oft verborgen ist: die Liebesmuster, die Schönheit auch in der Ernüchterung. Ein Loblied auf die Liebe.

 

 


  

Reprise             Vorschlag von Andreas Lötscher

 

 

Unerhörte Stimmen

Friedrich Dürrenmatt
Justiz

Ein Zürcher Kantonsrat erschiesst in einem überfüllten, von Politikern, Wirtschaftskoryphäen und Künstlern besuchten Restaurant der Stadt vor aller Augen einen Germanisten, Professor an der Universität, lässt, zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt, im Gefängnis einen jungen, mittellosen Rechtsanwalt zu sich kommen und erteilt diesem den Auftrag, seinen Fall unter der Annahme neu zu untersuchen, er sei nicht der Mörder gewesen. Der junge Anwalt, der den scheinbar sinnlosen Auftrag annimmt, erkennt zu spät, in welche Falle ihn die Justiz geraten lässt, weil er sie mit der Gerechtigkeit verwechselt.